Michail Chodorkowski ist frei, und nun können auch die beiden Pussy-Riot-Aktivistinnen Maria Aljochina und Nadeschda Tolokonnikowa am 7. Jänner das russische Weihnachtsfest im Kreis ihrer Familien feiern. Freilich: Kaum jemand glaubt ernsthaft, dass Präsident Wladimir Putin sie aus reiner Güte begnadigt hat. Der "Olympia-Faktor" mag da schon mitgespielt haben - zumal die Haftstrafe für die beiden jungen Frauen ohnehin im nächsten März regulär zu Ende gewesen wäre.

Sosehr diese Amnestierungen zu begrüßen sind: Sie erfolgten aus den falschen Gründen. Hier wurde nicht Gnade aus humanitären Gründen gewährt; hier ging es um eiskaltes Kalkül. Putin gestand damit keineswegs ein, dass Unrecht gesprochen worden sein könnte, sondern er bewies eindrucksvoll, dass er - und nur er - es ist, der jederzeit den Daumen heben oder auch senken kann. Die russischen Gerichte, so zeigt sich einmal mehr, sind in solchen Fällen bloß Vollstrecker im Dienste des Machtinteresses.

Ja, man darf sich trotzdem freuen. Aber gerade jetzt darf man nicht jene tausenden politischen Gefangenen vergessen, die nicht das Glück hatten, die Aufmerksamkeit der weltweiten Öffentlichkeit zu bekommen; die seit Jahren eingesperrt sind, bloß weil sie ihr Menschenrecht auf persönliche Meinung einfordern. Das Vergessen droht ihnen aber, wenn sich Putin in Sotschi als Mr. Olympia feiern lassen wird - und die Welt dann artig applaudiert. (Gianluca Wallisch, DER STANDARD, 24.12.2013)